3

Ashling entschied sich dann doch für das Jackett Nummer eins. Sie hätte schwören mögen, dass damit eine kleine Einbuchtung ungefähr in der Mitte zwischen ihren Brüsten und ihren Hüften zu erkennen war, und das war ein guter Grund. Nachdem sie lange unschlüssig war, wie sie sich schminken sollte, beschloss sie, Zurückhaltung walten zu lassen, damit man sie nicht für oberflächlich hielt. Doch damit sie nicht zu fade wirkte, holte sie noch die schwarz-weiße Handtasche aus Pferdeleder aus dem Schrank. Dann rieb sie ihren Glück bringenden Buddha, steckte sich den Glück bringenden Kieselstein in die Tasche und ließ ihren Blick einen Moment lang bedauernd auf ihrer Glück bringenden roten Mütze weilen. Aber wie viel Glück konnte ihr eine rote Bommelmütze wohl bringen, wenn sie sie bei einem Vorstellungsgespräch trug? Außerdem brauchte sie sie nicht - in ihrem Horoskop stand, dass heute ein guter Tag für sie sein würde. Und das Engelorakel bestätigte das.

Als sie aus dem Haus kam, musste sie über einen Mann steigen, der tief und fest in dem Eingang zu ihrem Haus schlief. Dann schlug sie den Weg zu dem Dubiner Büro von Randolph Media ein, ging festen Schrittes durch den stockenden Verkehr der Dubliner Innenstadt und wiederholte immer wieder leise im Kopf, wie Louise L. Hay es empfahl: Ich kriege diese Stelle, ich kriege diese Stelle, ich kriege diese Stelle...

Und wenn nicht? fragte sie sich dazwischen.

Na, dann eben nicht, na, dann eben nicht, na, dann eben nicht...

Obwohl sie sich nichts anmerken ließ, war sie von den Entwicklungen nach der Sache mit Mrs. O‘Sullivans Sofa ziemlich niedergeschmettert. So niedergeschmettert, dass sie eine Ohrenentzündung bekommen hatte, die sich immer dann meldete, wenn sie unter Stress stand.

Gekündigt zu werden war peinlich unerwachsen und passierte nicht einunddreißigjährigen Wohnungsbesitzerinnen. Eigentlich müsste sie dieserlei Dinge längst hinter sich gelassen haben.

Damit ihr Leben nicht auseinanderbröckelte, hatte sie sich mit Leidenschaft auf die Jobsuche geworfen und sich für alles beworben, was nur annähernd in Frage kam. Nein, sie war nicht in der Lage, ein junges Pferd mit einem Lasso einzufangen, hatte sie ehrlich Auskunft gegeben, als sie sich auf der Wild-West-Ranch in Mullingar vorstellte - sie hatte angenommen, die Stelle sei im Verwaltungsbereich -, aber sie war bereit, es zu lernen.

Bei jedem Vorstellungsgespräch wiederholte sie, dass sie bereit sei zu lernen. Aber von allen Stellen, für die sie sich beworben hatte, war die bei Colleen die Einzige, die sie wirklich und unbedingt haben wollte. Sie liebte die Arbeit bei einer Zeitschrift, und Stellenangebote in Zeitschriftenverlagen waren in Irland eine Seltenheit. Und für Ashling war es besonders schwer, da sie keine richtige Journalistin war; sie konnte einfach gut organisieren und hatte einen guten Blick für das Detail.

Die Zeitschriftenredaktion von Randolph Media war im dritten Stock des Bürogebäudes am Kai untergebracht. Ashling hatte herausgefunden, dass Randolph Media auch den kleinen, aber expandierenden Fernsehsender Channel 9 und einen Radiosender besaß, die anscheinend ihre Büros nicht im selben Gebäude hatten.

Ashling kam aus dem Aufzug und begab sich in Richtung Empfang. Auf dem Flur herrschte reges Treiben; überall liefen Menschen herum und trugen Ordner und Manuskripte hierhin und dorthin. Ashling spürte eine intensive Erregung, die fast in Übelkeit umschlug. Unmittelbar vor dem Empfangstisch stand ein großer Mann mit unordentlichem Haar und war tief in ein Gespräch mit einer zierlichen asiatischen Frau verwickelt. Sie redeten in gedämpftem Ton, aber ihrer Körpersprache entnahm Ashling, dass sie sich am liebsten angeschrien hätten. Ashling eilte weiter. Sie mochte keinen Streit, nicht einmal den Streit anderer.

Als sie das Mädchen am Empfang sah, wurde ihr klar, wie sehr sie sich in der Frage des Make-ups geirrt hatte. Mit ihrem leuchtenden, feucht-lüsternen Look bekannte sich Trix - so stand es auf dem Namensschild - deutlich zu der Mehr-ist-mehr-Schminkschule. Ihre Augenbrauen waren so gut wie völlig ausgezupft, ihr Lippenkonturenstift war so dick aufgetragen, dass man denken konnte, sie habe einen Schnurrbart, und ihr blondes Haar war mit Dutzenden von winzigen glitzernden und gleichmäßig verteilten Schmetterlingsspangen zu kleinen Büscheln zusammengefasst. Dafür musste sie drei Stunden eher aufgestanden sein, dachte Ashling beeindruckt.

»Hallo«, sagte Trix mit kehliger Stimme, die klang, als rauchte sie vierzig Zigaretten täglich, was sie übrigens auch tat.

»Ich habe ein Vorstellungsgespräch um halb z-« Ashling brach ab, als sie hinter sich einen empörten Aufschrei vernahm.

Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie der Mann mit den unordentlichen Haaren sich den Finger hielt.

»Du hast mich gebissen!«, rief er. »Mai, ich blute!«

»Hoffentlich wirkt deine Tetanusimpfung noch.« Die Asiatin lachte höhnisch.

Trix schnalzte mit der Zunge, verdrehte die Augen und murmelte: »Diese Kampfhähne, immer das Gleiche.« Dann sagte sie zu Ashling: »Setzen Sie sich doch. Ich sage Calvin Bescheid, dass Sie da sind.«

Sie verschwand hinter einer Schwingtür, und Ashling ließ sich auf ein Sofa sinken, neben dem auf einem Couchtisch die verschiedenen Zeitschriften ausgebreitet lagen. Allein bei dem Anblick spielten ihre Nerven verrückt, so sehr wollte sie diesen Job. Ihr Herz klopfte, ihr Magen krampfte sich zusammen. Geistesabwesend drehte sie den Glück bringenden Kieselstein zwischen Daumen und Zeigefinger. Trotz ihrer Nervosität kriegte sie vage mit, dass der Mann mit dem angebissenen Finger die Tür der Herrentoilette hinter sich zuschlug und die kleine Asiatin zum Aufzug marschierte, wobei ihr langes schwarzes Haar wie ein Vorhang hin und her schwang.

»Mr. Carter sagt, Sie sollen reinkommen.« Trix stand vor ihr und konnte ihre Überraschung nicht verhehlen. Seit zwei Tagen wurde sie von nervösen Bewerberinnen belästigt, die man bis zu zweieinhalb Stunden bei ihrem Schreibtisch warten ließ - eine lange Zeit, in der Trix nicht mit ihren Freundinnen und jungen Männern telefonieren konnte und sich stattdessen die ängstlichen Fragen der Bewerberinnen, wie ihre Chancen stünden, anhören musste. Und dabei wusste sie haargenau, dass Calvin Carter und Jack Devine die ganze Zeit im Besprechungszimmer Rommé spielten.

Aber Calvin Carter war von Jack Devine im Stich gelassen worden und langweilte sich. Da konnte er ebenso gut jemanden zum Gespräch bitten.

»Kommen Sie!«, sagte er kurz, als Ashling schüchtern an seine Tür klopfte.

Er warf einen Blick auf die dunkelhaarige Frau in dem schwarzen Hosenanzug und entschied sich spontan gegen sie. Sie war einfach nicht aufsehenerregend genug für Colleen. Er verstand nicht viel von Haaren, aber sein Gefühl sagte ihm, dass Frauen normalerweise raffiniertere Frisuren hatten als diese. Sollte es nicht eher so aussehen, als wäre etwas damit gemacht worden? Es konnte doch nicht einfach bis zu den Schultern hängen und braun sein, oder? Und eine gesunde Farbe im Gesicht ist genau passend für ein Milchmädchen, aber wenn man sich Hoffnung auf die Position der stellvertretenden Chefredakteurin einer sexy Frauenzeitschrift machte ...?

»Setzen Sie sich.« Es war wohl besser, er würde sich fünf Minuten lang an die Spielregeln halten.

Atemlos und von dem innigen Wunsch erfüllt, einen guten Eindruck zu machen, setzte Ashling sich auf den einzigen Stuhl weit und breit, mit Blick auf den Mann hinter dem langen Schreibtisch.

»Jack Devine, der Geschäftsführer für Irland, wird bald hier sein«, erklärte Calvin. »Keine Ahnung, wo er bleibt. Als Erstes«, fuhr er mit einem Blick auf ihren Lebenslauf fort, »sollten Sie mir mal erklären, wie man Ihren Namen ausspricht.«

»Ash-ling. Ash- wie in aschgrau und- ling als Reim auf Ding.«

»Ash-ling. Ashling. Gut, das kann ich aussprechen. Also gut, Ashling, Sie arbeiten seit acht Jahren bei Zeitschriften ...«

»Zeitschrift, um genau zu sein.« Ashling hörte ein nervöses Kichern und stellte fest, dass es von ihr kam. »Nur bei einer.«

»Und warum sind Sie bei Woman‘s Place weggegangen?«

»Ich wünsche mir eine neue Herausforderung«, sagte Ashling nervös. Den Satz hatte Sally Healy ihr eingetrichtert.

Die Tür öffnete sich, und herein kam der Mann mit dem angebissenen Finger.

»Ah, Jack.« Calvin Carter runzelte die Stirn. »Das hier ist Ashling Kennedy. Ash- wie in aschgrau und- ling als Reim auf Ding.«

»Und wie läuft‘s?« Jack war in Gedanken woanders. Er war stinksauer. Er hatte die halbe Nacht mit den Technikern vom Fernsehsender verhandelt, während er gleichzeitig einen US-Sender zu überreden versucht hatte, ihre preisgekrönte Serie nicht an RTE zu verkaufen, sondern an Channel 9. Und als hätte sein Arbeitspensum nicht ohnehin schon gigantische Ausmaße angenommen, sollte er jetzt auch noch diese dumme Zeitschrift aus dem Boden stampfen. Das Letzte, was die Welt brauchte, war eine neue Frauenzeitschrift! Aber wenn er ehrlich war, dann musste er gestehen, dass er in erster Linie wütend auf Mai war. Sie trieb ihn zum Wahnsinn! Er hasste sie. Er hasste sie aus tiefstem Herzen. Wie hatte er nur denken können, dass er verrückt nach ihr war! Er würde ihre Anrufe nicht beantworten. Kam gar nicht in Frage, das war das letzte Mal, das allerletzte Mal, so viel stand fest...

Er setzte sich an den Schreibtisch und strengte sich sehr an, sich auf das Gespräch zu konzentrieren - Calvin hatte nämlich immer irgendwas im Hinterhalt. Bevor er sich‘s versah, würde er eine einigermaßen relevante Frage stellen müssen, dabei dachte er die ganze Zeit daran, dass er vielleicht verblutete. Oder an Tollwut sterben würde. Wie lange es wohl dauerte, bis einem der Schaum vor den Mund trat?

Er kippelte mit dem Stuhl nach hinten, hielt seinen verletzten Finger vor sich und starrte ihn an. Er konnte es nicht glauben, dass sie ihn gebissen hatte. Schon wieder. Beim letzten Mal hatte sie versprochen... Er wickelte das Stück Klopapier fester um den Finger und sah, wie es sich rot verfärbte.

»Erzählen Sie mir, wo Ihre Stärken und Ihre Schwächen liegen«, forderte Calvin Ashling auf.

»Wenn ich ehrlich sein soll, mein größter Schwachpunkt ist das Schreiben. Titel, Bildunterschriften und kürzere Strecken fallen mir leicht, aber mit langen Artikeln habe ich nicht viel Erfahrung.«

Keine Erfahrung, wenn sie ganz ehrlich sein wollte.

»Meine Stärken sind Ordnungssinn, Organisationstalent und Fleiß. Ich eigne mich gut als rechte Hand des Chefs.« Mit ernster Miene brachte Ashling dieses wortgetreue Zitat von Sally Healy vor. Dann hielt sie inne und sagte: »Entschuldigung, möchten Sie ein Pflaster für Ihren Finger?«

Jack Devine sah überrascht auf. »Wer? Ich?«

»Ich sehe sonst niemanden, der blutet«, sagte Ashling und versuchte ein Lächeln.

Jack Devine schüttelte heftig den Kopf. »Nein, wieso?« Dann fugte er ein mürrisches »Danke« hinzu.

»Warum nicht?«, schaltete Calvin Carter sich ein.

»Ist schon gut.« Jack winkte mit seiner heilen Hand ab.

»Lass dir doch ein Pflaster geben«, sagte Calvin, »ist doch eine gute Idee.«

Ashling nahm ihre Handtasche auf den Schoß und fand nach nur kurzem Suchen eine Packung mit Pflastern. Sie klappte den Deckel auf, entschied sich für die richtige Größe und reichte es Jack.

»Das müsste genügen.«

Jack sah aus, als hätte er keine Ahnung, was zu tun war. Calvin Carter war auch nicht sehr hilfreich.

Ashling versagte sich einen Seufzer, stand auf, nahm Jack das Pflaster aus der Hand und riss die Folie auf.

»Strecken Sie Ihren Finger aus.«

»Jawohl, Frau Lehrerin«, sagte er sarkastisch.

Schnell und geschickt hatte sie das Pflaster um seinen verletzten Finger geklebt. Sie überraschte sich selbst, als sie unter dem Vorwand, den Sitz des Pflasters zu prüfen, den Finger fest drückte und beschämt eine Spur von Befriedigung empfand, als Jack Devine einen winzigen Moment lang zusammenzuckte.

»Was haben Sie sonst noch dabei?«, fragte Calvin Carter neugierig. »Aspirin?«

Sie nickte bedächtig. »Brauchen Sie eins?«

»Nein, danke. Kuli und Notizblock?«

Wieder nickte sie.

»Und wie sieht es mit - ich gebe zu, das geht sehr weit - einem Reisenähzeug aus?«

Einen Augenblick schwieg Ashling verlegen, dann war sie plötzlich ganz natürlich und sagte mit einem kleinen, erleichterten Lachen: »Ich habe tatsächlich eins dabei.« Sie lächelte breit.

»Sie sind sehr gut organisiert«, fuhr Jack Devine dazwischen. Es klang wie eine Beleidigung.

»Einer muss es ja sein.« Calvin Carter hatte seinen ersten Eindruck revidiert. Sie war charmant und sie trug Lippenstift, auch wenn er Spuren auf ihren Zähnen hinterließ.

»Danke, Ms. Kennedy, wir melden uns bei Ihnen.«

Ashling schüttelte beiden Männern die Hand und versäumte es nicht, Jack Devines verletzten Finger besonders fest zu drücken.

»He, die hat mir gefallen.« Calvin Carter lachte.

»Mir nicht«, sagte Jack Devine missmutig.

»Ich habe gesagt, sie hat mir gefallen«, wiederholte Calvin Carter. Er war es nicht gewöhnt, dass man ihm widersprach. »Sie ist zuverlässig und auf Draht. Gib ihr die Stelle.«

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